Die Digitalisierung erfasst immer mehr Lebensbereiche, und auch die Justiz ist davon nicht ausgenommen. In einer Welt, in der Informationen exponentiell zunehmen und Verfahren immer komplexer werden, steht die Justiz vor einer entscheidenden Transformation. Diese Veränderung wird maßgeblich durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) geprägt, insbesondere von sogenannten Large Language Models (LLMs). Diese Sprachmodelle haben das Potenzial, die Arbeit von Richterinnen und Richtern in Zivilsachen grundlegend zu revolutionieren.
Subsumtion und Feststellung strittiger Sachverhalte: Die ideale Anwendung von LLMs
LLMs, die auf umfangreichen Textdaten trainiert werden, können die Arbeit der Gerichte erheblich erleichtern, insbesondere bei der Subsumtion und der Feststellung strittiger Sachverhalte. Die Subsumtion – also die Einordnung eines konkreten Sachverhalts unter eine rechtliche Norm – ist ein grundlegender Prozess in der Rechtsprechung. Hierbei müssen die relevanten rechtlichen Fakten identifiziert und in den Kontext bestehender Gesetze gesetzt werden.
Durch die Fähigkeit von LLMs, riesige Mengen an Textdaten zu analysieren, können diese Modelle dazu beitragen, komplexe Rechtsfragen schneller zu durchdringen. Sie können die wesentlichen Streitpunkte in einem Verfahren identifizieren, den Stand der Rechtsprechung aufzeigen und Vorschläge zur rechtlichen Würdigung unterbreiten. Die Arbeit des Richters würde sich somit von einer standardisierten Abarbeitung von Prozessen hin zu einer stärkeren Fokussierung auf Rechtsfortbildung und die Lösung wirklich komplizierter Streitfälle verschieben.
Die Justiz der Zukunft: Weg von „Schema F“
Die traditionelle Arbeit von Richterinnen und Richtern, die sich häufig mit der Abarbeitung von Routinefällen befasste, wird sich in den kommenden Jahren drastisch verändern. Routineentscheidungen, die nach einem klaren Schema F abgewickelt werden, könnten in Zukunft größtenteils von KI übernommen werden. Der Mensch wird weiterhin im Zentrum der Rechtsprechung stehen, jedoch in einer neuen, erweiterten Rolle. Statt sich mit der Sichtung und Analyse von Verfahrensakten zu beschäftigen, könnten sich Richterinnen und Richter zunehmend auf die anspruchsvolleren Aspekte der Rechtsprechung konzentrieren: die Auslegung und Weiterentwicklung des Rechts sowie die Behandlung besonders komplexer Streitfälle.
KI in der Justiz: Aktuelle Entwicklungen
In Deutschland werden derzeit Projekte entwickelt, die genau dieses Zukunftsbild vorantreiben. Ein Beispiel ist das Assistenzprogramm „Akira“, das vom Landesjustizministerium initiiert wurde. Ziel dieses Programms ist es, Gerichtsakten mithilfe von KI inhaltlich zusammenzufassen und vorzustukturieren. Angesichts der Tatsache, dass Gerichtsakten häufig mehrere tausend Seiten umfassen, stellt die Aufbereitung dieses Materials eine enorme Herausforderung dar. Durch die digitale Vorarbeit sollen Richterinnen und Richter in die Lage versetzt werden, Akteninhalte schneller und präziser zu erfassen.
Dieses Projekt wird auch von Partnern aus der IT-Branche unterstützt, darunter das KI-Start-up Aleph Alpha. Erste Pilotprojekte finden bereits in der Sozialgerichtsbarkeit statt, und auch Richterinnen und Richter des Sozialgerichts Ulm tragen erste Erfahrungen aus der Praxis bei. Ziel ist es, die digitale Assistenz auf alle Gerichtsbarkeiten in Deutschland auszuweiten, um so eine schnellere und präzisere Erfassung des Sach- und Streitstandes zu ermöglichen.
Die Zukunft der Rechtsprechung: KI als unverzichtbarer Helfer
Die Nutzung von KI in der Justiz wird in den kommenden Jahren unverzichtbar werden. Wie der Präsident des Oberlandesgerichts Karlsruhe zu Beginn des Jahres sagte, steht die Justiz an der „Schwelle zu disruptiven Veränderungen“. Fachkräftemangel und die zunehmende Komplexität des Rechts erfordern neue Lösungen, und KI bietet hier enorme Potenziale.
Richterinnen und Richter werden künftig von der Unterstützung durch KI profitieren, indem sie sich auf die wirklich anspruchsvollen Teile ihrer Arbeit konzentrieren können. Die persönliche Interaktion mit den Parteien, die rechtliche Würdigung von Fällen und die Entscheidung in komplexen Rechtsfragen werden auch in Zukunft Aufgaben bleiben, die menschliches Urteilsvermögen erfordern. Doch die mühsame Sichtung und Strukturierung von Akten könnte bald weitgehend der Vergangenheit angehören.
Die Justiz der Zukunft wird sich auf zwei wesentliche Säulen stützen: auf den Menschen und die Technologie. Künstliche Intelligenz wird dabei als unverzichtbarer Helfer agieren, um eine immer komplexer werdende Welt zu bewältigen. Ein revolutionärer Wandel, der nicht nur Effizienzgewinne bringt, sondern auch den Weg für eine modernere und gerechtere Rechtsprechung ebnet.